Das Gehirn ist das einzige Organ, von dem bekannt ist, dass es über ein eigenes Sicherheitssystem verfügt, ein Netzwerk von Blutgefäßen, das den Eintritt essentieller Nährstoffe ermöglicht und gleichzeitig andere Substanzen blockiert. Die sogenannte Blut-Hirn-Schranke.
Leider schützt diese Barriere so wirksam vor dem Eindringen von Fremdsubstanzen, dass sie oft dass eindringen lebensrettende Medikamente verhindert, die verletzte oder kranke Gehirn reparieren könnten. Neue Studien leiten Forscher zu kreativen Wegen an, diese Barriere zu öffnen und sie “auszutricksen”, damit Medikamente eindringen können.
Von der Hypothese zum visuellen Beweis
Jeder Gedanke, den du hast, und jede Handlung, die man ausführt, erfordert eine präzise Kommunikation zwischen den Nervenzellen in deinem Gehirn. Damit diese Botschaften erfolgreich übermittelt und empfangen werden können, muss die Umgebung stabil sein.
In den späten 1800ern setzten die überraschenden Ergebnisse eines Routinetests eine Reihe von Experimenten in Gang, die zeigten, wie sich das Gehirn von den natürlichen chemischen Fluktuationen, die im Körper auftreten, abkoppelt. Die sogenannte Blut-Hirn-Schranke.
Mysteriöse Barriere: Blut-Hirn-Schranke
Lange bevor der deutsche Wissenschaftler Paul Ehrlich ein Heilmittel gegen Syphilis entwickelte, das ihm später den Nobelpreis einbringen sollte, war er fasziniert von der Art und Weise, wie verschiedene Gewebearten chemische Farbstoffe unterschiedlich absorbieren.
Ehrlichs eigentliches Ziel war es, neue Verbindungen zu finden, die krankheitsverursachende Mikroben angreifen können. Doch im Laufe dieser Arbeit machte er eine seltsame Entdeckung. 1885 injizierte Ehrlich blauen Farbstoff in die Blutbahn von Mäusen. Der Farbstoff färbte alle Organe der Tiere blau – mit Ausnahme des Gehirns.
In einem Folgeversuch im Jahr 1913 injizierte einer von Ehrlichs Schülern denselben Farbstoff direkt in die Gehirne von Mäusen. Diesmal färbten sich die Gehirne blau, während sich die anderen Organe nicht färbten.
Obwohl diese Experimente auf eine physische Barriere, der Blut-Hirn- Schranke, zwischen dem Gehirn und dem Blutkreislauf hindeuteten, konnte mit den damaligen Instrumenten keine solche Barriere nachgewiesen werden.
Ein kompliziertes Netzwerk von Blutgefäßen
Es dauerte bis in die 1960er Jahre, bis die Wissenschaftler in der Lage waren, einen Blick auf die tatsächliche Barriere zwischen dem Rest des Körpers und dem Gehirn zu erhaschen.
Mit einem Mikroskop, das etwa 5.000 Mal leistungsfähiger war als das von Ehrlich verwendete, konnten die Wissenschaftler die detaillierte Anatomie des Netzwerks von Blutgefäßen im Gehirn sehen. Dieses Netzwerkgebilde ist heute als Blut-Hirn-Schranke bekannt.
Ähnlich wie bei allen anderen Blutgefäßen im Körper erfuhren die Wissenschaftler, dass die Blutgefäße des Gehirns mit Endothelzellen ausgekleidet sind. Diese bilden und dienen als Schnittstelle zwischen dem zirkulierenden Blut und Gefäßwand.
Im Gegensatz zu anderen Blutgefässen im Körper sind die Endothelzellen im Gehirn jedoch fest miteinander verkeilt, wodurch eine nahezu undurchlässige Grenze zwischen Gehirn und Blutstrom entsteht.
Die Umgehung der Blut-Hirn-Schranke
Die Blut-Hirn-Schranke hilft, das Eindringen von Schadstoffen wie Toxinen und Bakterien in das Gehirn zu verhindern. Die Wissenschaftler wussten jedoch, dass das Gehirn auch von der Zufuhr von Hormonen und Schlüsselnährstoffen, darunter Glukose und verschiedene Aminosäuren, aus anderen Organen des Körpers abhängig ist.
Um zu bestimmen, wie die Bult-Hirn-Schranke des Gehirns entscheidet, welche Moleküle willkommen sind und welche ablehnt werden, injizierten die Wissenschaftler Chemikalien in die Blutbahnen der Tiere und maßen später die Menge, die im Gehirn ankam.
Eintritt ins Gehirn gewinnen
In umfangreichen Studien haben Wissenschaftler herausgefunden, dass Verbindungen, die sehr klein und/oder fettlöslich sind, darunter Antidepressiva, Medikamente gegen Angstzustände, Alkohol, Kokain und viele Hormone, in der Lage sind die Blut-Hirn-Schranke ohne große Anstrengung zu passieren.
Größere Moleküle, wie Glukose oder Insulin, müssen dagegen von Proteinen durchgeschleust werden. Diese Transportproteine, die sich in den Blutgefässwänden des Gehirns befinden, greifen selektiv ein und ziehen die gewünschten Moleküle aus dem Blut in das Gehirn.
Zellen innerhalb und auf beiden Seiten der Blut-Hirn-Schranke stehen in ständiger Kommunikation darüber, welche Moleküle wann durchgelassen werden sollen.
Wenn zum Beispiel die Nervenzellen in einer Hirnregion besonders hart arbeiten, signalisieren sie den Blutgefässen, sich zu erweitern, so dass zellbetriebene Nährstoffe schnell vom Blut zu den bedürftigen Nervenzellen gelangen können.
Gefährliche Lecks
Wenn die Blut-Hirn-Schranke zusammenbricht, wie es bei einigen Hirntumoren und Hirninfektionen der Fall ist, oder wenn winzige Risse in den Blutgefäßen auftreten, gelangen einige Substanzen, die normalerweise vom Gehirn ferngehalten werden, ins Gehirn und verursachen Probleme.
Einige Hinweise deuten darauf hin, dass die Schwächung der Blut-Hirn-Schranke sogar einer Reihe von neurodegenerativen Erkrankungen vorausgehen, diese beschleunigen oder zu ihnen beitragen kann. Beispielsweise deuten Studien darauf hin, dass eine undichte Blut-Hirn-Schranke zu viele weiße Blutkörperchen in die Gehirne von Menschen mit Multipler Sklerose (MS) lässt. Beim Zugang zum Gehirn greifen diese Zellen das Myelin an, die isolierende Schicht zwischen den Nervenzellen, was zu den verheerenden Symptomen der Krankheit führt.
Entwicklung von Medikamenten, die die Blut-Hirn-Schranke durchdringen können
Die Reparatur von Lecks in der Blut-Hirn-Schranke ist eine Hürde für Wissenschaftler. Eine andere besteht darin, neue Wege zu finden, um Öffnungen in der Barriere zu schaffen, damit lebensrettende Medikamente ins Gehirn gelangen können.
Schätzungsweise 98 Prozent der potenziellen medikamentösen Behandlungen von Hirnerkrankungen sind nicht in der Lage, die Blut-Hirn-Schranke zu durchdringen. Infolgedessen sind die Möglichkeiten für Patienten mit Hirntumoren und anderen neurologischen Erkrankungen begrenzt.
Barriere-Übergänge
Angesichts dieser Herausforderungen entwickeln Forscher jetzt kreative Strategien, um vorübergehend die Barriere zu öffnen, damit Medikamente ihre Ziele im Gehirn erreichen können. Eine Möglichkeit, die Wissenschaftler versuchen, ist die Blut-Hirn-Schranke durchlässiger zu machen. Das verabreichen einer Lösung zu verabreichen soll Wasser aus dem umgebenden Gewebe einer zum Gehirn führenden Arterie absaugt werden.
Das Wasser wird aus den Endothelzellen gezogen wodurch diese schrumpfen, wodurch Lücken entstehen. Durch die geschaffenen Lücken können Medikamente die Blut-Hirn-Schranke vorübergehend passieren und in das Gehrin gelangen. Innerhalb weniger Stunden nehmen die Zellen wieder ihre normale Größe an, wodurch sich die Schleuse wieder schließt. Diese experimentelle Methode wurde erfolgreich eingesetzt, um einigen Patienten mit Hirntumoren Chemotherapeutika zu verabreichen.
Forscher haben diese Technik auch eingesetzt, um vorübergehend Lücken in der Barriere zu schaffen. Durch diese können sie einen Mikrokatheter führen, um nach einem Schlaganfall gerinnungshemmende Medikamente zu verabreichen. Wissenschaftler entwickeln auch neue Strategien zur Anheftung von Medikamenten an Moleküle, die auf natürliche Weise über die Barriere transportiert werden. Diese so genannte “Trojanisches Pferd”-Methode hat in mehreren Tiermodellen Erfolg gezeigt.
Sie ermöglicht, dass Medikamente, die sonst aus dem Gehirn ausgeschlossen werden, ohne nachteilige Auswirkungen in das Gehirn gelangen. Experten warnen jedoch davor, dass eine solche Technik erst noch in klinischen Studien getestet werden muss.
Fazit
Durch die Entwicklung neuer Gehirntechnologien schaffen Wissenschaftler neue Möglichkeiten, die Blut-Hirn-Schranke freizulegen, so dass lebensrettende Medikamente bestimmte Ziele im Gehirn erreichen können, ohne die laufende Aktivität zu beeinträchtigen.
Obwohl wahrscheinlich noch zahlreiche Herausforderungen vor uns liegen, hoffen viele Wissenschaftler, dass neue Erkenntnisse über die Funktion der Blut-Hirn-Schranke unter normalen und kranken Bedingungen eines Tages zu besseren Behandlungen für einige der schwierigsten und hartnäckigsten Hirnerkrankungen führen werden.
REFERENZEN
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